Challenges: Jugendlichen helfen, Risiken richtig einzuschätzen

| Bettina Bichsel

Manche sind lustig, manche einfach nur blöd – und manche richtig gefährlich. Auf YouTube und TikTok kursieren immer wieder Challenges, die vor allem Jugendliche zum Nachahmen animieren.

Am Anfang stand die Ice Bucket Challenge. Das war 2014 und plötzlich war YouTube voll von Videos, auf denen man Menschen aus aller Welt zusehen konnte, wie ihnen ein Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf geleert wurde. Hintergrund war eine Spendenkampagne für die Nervenkrankheit ALS, weil das lähmende Gefühl, das durch das Eiswasser kurz zu spüren war, die Betroffenen ein Leben lang begleitet. Im allgemeinen Hype ging dieses Anliegen jedoch eher unter. Und mancherorts endete der Spass tödlich. In Deutschland etwa starb ein Mitglied eines Kegelclubs, als ein riesiger Bagger, der die ganze versammelte Truppe mit Wasser übergiessen sollte, umkippte.

Mutproben sind nichts Neues. Heute ist einfach das Handy immer griffbereit, um alles filmisch festzuhalten.

Früher sprach es sich herum, heute geht’s viral

Nun sind Mutproben ja nichts Neues. In Erich Kästners Klassiker »Das fliegende Klassenzimmer« ist es der kleine Uli, der mit aufgespanntem Regenschirm von einem Klettergerüst springt. Der Sturz bringt ihm zwar einen Beinbruch ein, aber auch den gehörigen Respekt seiner Gspänli. Und in dem Film mit dem passenden Namen »Denn sie wissen nicht, was sie tun«, liefern sich James Dean und andere Jugendliche aus purer Langeweile halsbrecherische Autorennen.

Was war es bei Ihnen, als Sie jung waren? Sind Sie nachts mit Freund*innen ins Freibad geklettert und vom Fünfmeterbrett gesprungen? Im Dunkeln über den Friedhof gelaufen? Ohne Führerschein Töffli gefahren?

Heute ist einfach das Handy immer griffbereit, um alles filmisch festzuhalten. Und durch Videoplattformen und Social Media kriegen wir mit, welche Spässe oder Verrücktheiten anderen einfallen. Einige Beispiele, die viral gingen:

  • #CelebLookAlikeChallenge: Wer hat nicht schon mal davon geträumt, wie ein Star auszusehen? Hier geht es darum, einer bekannten Persönlichkeit so ähnlich wie möglich zu sehen.
  • #RaindropChallenge: Getanzt wird in Challenges ohnehin viel. In diesem Fall mit dem Unterschied, dass mithilfe eines Filters strömender Regen im Video imitiert wird. Wenn die Tanzenden nun die Hand ausstrecken, können sie die Regentropfen stoppen.
  • #FridgeChallenge: Das Handy kommt im Kameramodus in den Kühlschrank. Aber statt Käse, Joghurt oder Äpfeln holen die Leute die absurdesten Sachen raus.
  • #GenerationsChallenge: Der Name sagt eigentlich alles – in ein- und demselben Video sollen möglichst viele Generationen einer Familie gezeigt werden.

Jugendliche neigen zu risikofreudigerem Verhalten.

Leichtsinn und Übermut können gefährlich werden

Neben diesen harmlosen Herausforderungen, die wirklich lustig sein können, gibt es auch andere Kategorien. Challenges, bei denen Leute zu Schaden kommen oder gar sterben. Schlagzeilen gemacht haben etwa folgende Beispiele, bei denen man:

  • aus dem fahrenden Auto steigen, tanzen und wieder einsteigen sollte,
  • Pads mit Flüssigwaschmittel aufbeisst,
  • Kondome durch die Nase in den Rachen zieht, um sie aus dem Mund wieder rauszunehmen,
  • mit verbundenen Augen all das tut, was man sonst im Alltag auch macht,
  • oder vom Hotelzimmerbalkon in den Swimmingpool springt.

Urteilsvermögen ist in der Adoleszenz wenig aktiv

Die normale Erwachsenenreaktion bei solchen Ideen dürfte ein Kopfschütteln sein. Und man fragt sich, wie es sein kann, dass sich gerade Jugendliche immer wieder zu so leichtsinnigen oder gar gefährlichen Aktionen hinreissen lassen.

Eine Antwort auf diese Frage liefert die Entwicklungspsychologie: Die Adoleszenz (die ungefähr ab 10 beginnt und Mitte 20 endet) geht mit einem starken Wachstum des Gehirns einher, wobei insbesondere diejenigen Regionen betroffen sind, die auf Emotionen und Belohnungen reagieren. Soziale Erfahrungen sind in dieser Phase besonders wichtig und Jugendliche neigen zu risikofreudigerem Verhalten. Gleichzeitig läuft das Urteilsvermögen (noch) nicht auf Hochtouren.

Wunsch nach Nervenkitzel und Bewunderung

Werden Jugendliche selbst (wie beispielsweise hier), was sie an Challenges so faszinierend finden und was sie zum Mitmachen motiviert, sagen sie unter anderem, dass:

  • sie neugierig sind und gerne Neues ausprobieren,
  • gerade das Riskante die Herausforderung spannend macht,
  • sie sich dazugehörig fühlen, wenn sie mitmachen und das Video dann mit ihren Freund*innen teilen,
  • eine Teilnahme Aufmerksamkeit erregt und Anerkennung bei anderen findet.


Adrenalin und Dopamin spielen eine wichtige Rolle. Grenzen werden ausgetestet. Kein Zweifel: Wer eine Mutprobe erfolgreich besteht, fühlt sich grossartig.

Der Wunsch, Neues auszuprobieren oder einen Nervenkitzel zu spüren, kann auch auf andere Weise erfüllt werden.

Braucht es wirklich die Challenge, um mutig zu sein?

Wer Challenges einfach als Unsinn abtut und pauschal verbietet, wird bei Jugendlichen wenig Gehör finden. Eine von TikTok in Auftrag gegebene Studie regt vielmehr an, Präventionswege zu suchen, welche die Sichtweisen der Jugendlichen mehr miteinbeziehen. Befragt über ihre Einschätzung von ihnen bekannten Challenges, wurden die meisten als lustig/leichtsinnig oder zwar als riskant, aber sicher eingestuft. Gleichzeitig gab fast die Hälfte der Jugendlichen an, dass sie gerne mehr darüber wissen möchten, wie sie Risiken besser abschätzen können und «was es bedeutet, zu weit zu gehen».

Über mögliche Konsequenzen zu sprechen, ist eine Möglichkeit: Was kann schiefgehen? Ist es dann immer noch cool? Und was heisst es, wirklich mutig zu sein? Braucht es nicht sehr viel mehr Mut, Nein zu sagen und dem Gruppendruck zu widerstehen?

Seien Sie gemeinsam kreativ

Ausserdem können genau die Aspekte, die Jugendliche dazu bewegen, an (riskanten) Challenges teilzunehmen, Anhaltspunkte bieten für ein Gespräch. Beeindrucken kann ich andere auch mit kreativen oder lustigen Online-Inhalten, die ich gestalte. Und der Wunsch, Neues auszuprobieren oder einen Nervenkitzel zu spüren, kann ja auch auf andere Weise erfüllt werden. Was kommt den Jugendlichen selbst in den Sinn? Wie können sie Spannendes erleben oder sich einer Herausforderung stellen? Vielleicht entstehen so Ideen für den nächsten Familienausflug.

Und nicht zuletzt gibt es natürlich auch Challenges, bei denen es sich wirklich lohnt mitzumachen:

  • #CleanSnap oder #TrashTag rufen dazu auf, öffentliche Orte von Müll zu befreien – natürlich dokumentiert mit Vorher-Nachher-Fotos.
  • #ZeroWasteChallenges animieren dazu, möglichst wenig Abfall zu produzieren, Verpackungen zu recyclen und Nahrungsmittel zu verwerten.
  • #CheckYourPrivilege sensibilisiert für Alltagsrassismus.
  • Weitere Challenge-Ideen rund um Nachhaltigkeit und Umweltschutz finden Sie zudem hier.
  • 100 Vorschläge für kreative Challenges bietet diese Webseite.


Oder Sie sind einfach selbst kreativ und erfinden Ihre eigene Challenge. Wir freuen uns über Ideen!

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.