Bildschirme bei den Kleinsten: Was die Forschung weiss – und warum viele Fragen offen sind

| Bettina Bichsel

Sind Bildschirme für Babys und Kleinkinder schädlich? Eine Frage, die sich wohl alle Eltern in einer digitalisierten Welt stellen. Studien dazu gibt es viele, doch leider liefern sie alles andere als klare Antworten. Warum das so ist und welche Empfehlungen sich trotzdem aus der Forschung ableiten lassen.

Über 150 Studien, die in den letzten Jahren zum Thema veröffentlicht wurden, hat ein Forschungsteam im Rahmen des Projekts «Kinder und Digitale Medien», kurz KiDiM, systematisch ausgewertet. Das Ergebnis: Die Anzahl jener Studien, die einen ungünstigen Effekt durch Bildschirmkonsum auf die frühkindliche Entwicklung (Kinder bis 3 Jahre) feststellen, und diejenigen Untersuchungen, die keinen Zusammenhang finden, halten sich die Waage.

Ungünstige Auswirkungen betreffen den Schlaf, die allgemeine physische Gesundheit, die Sprachentwicklung sowie kognitive, motorische oder sozial-emotionale Fähigkeiten. Wenige Studien berichten von Vorteilen, etwa bei sprachlichen Fähigkeiten oder beim frühen Lernen.

Was bedeutet das nun für Eltern, die sich im Alltag klare Leitlinien wünschen? Um Antworten zu finden, lohnt es sich, die widersprüchlichen Befunde genauer zu betrachten – und den Blick auf das zu richten, was wirklich entscheidend ist.

Die Frage ist ja: Handelt es sich wirklich um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und Entwicklungsstörung – oder liegt die Ursache anderswo?

Fabio Sticca, KiDiM-Projektleiter

Warum ist die Forschung so widersprüchlich?

Ein Grund für die verwirrende Studienlage liegt darin, dass ganz unterschiedliche Aktivitäten gemeint sind, wenn von Bildschirmzeit gesprochen wird: Fernsehen, YouTube, ein Videocall mit den Grosseltern, ein Malprogramm am Tablet oder eine Puzzle-App – alles kann darunter fallen.

Hinzu kommen methodische Schwierigkeiten: Wird die Medienzeit durch die Eltern geschätzt oder finden genaue Beobachtungen statt? Wird nur ein einzelner Zeitpunkt betrachtet oder längere Zeiträume? Oft werden ausserdem andere wichtige Faktoren kaum oder gar nicht berücksichtigt.

Dabei wäre genau das zentral, wie Fabio Sticca, KiDiM-Projektleiter und Professor für Diagnostik und Förderung sozio-emotionaler und psychomotorischer Entwicklung an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) erklärt: «Die Frage ist ja: Handelt es sich wirklich um einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und Entwicklungsstörung – oder liegt die Ursache anderswo? Wenn man zusätzliche Faktoren berücksichtigt, kann es gut sein, dass die Bildschirmzeit eine vergleichsweise kleine Rolle spielt.»

Zum Beispiel zeigt sich auch, dass Kinder umso mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen, je stärker ihre Eltern belastet sind. Wenn dieser Zusammenhang nicht berücksichtigt wird und gleichzeitig Entwicklungsverzögerungen auffallen, könnte leicht der Eindruck entstehen, dass allein die Bildschirmzeit schuld ist – dabei wäre es hier wichtiger, die Eltern zu entlasten.

Wie ein grosses Puzzle

Die kindliche Entwicklung ist ein komplexes Zusammenspiel aus vielen Bausteinen: Bewegung, Schlaf, Ernährung, Sprache, Beziehungen, Umfeld – und eben auch Mediennutzung. Der Wunsch nach einer einfachen Regel, die für alle Kinder passt, ist nachvollziehbar, bleibt aber Wunschdenken. Oder wie es Sticca formuliert: «Es ist schwierig, Zusammenhänge zu finden, die für alle Kinder in allen Entwicklungsbereichen gültig sind.»

Um bei der Bildschirmzeit zu bleiben und es mit einem Beispiel zu veranschaulichen: Wenn ein Kleinkind häufig «Paw Patrol» schaut, bewegt es sich in dieser Zeit wahrscheinlich nicht viel, lernt dafür aber vielleicht neue Begriffe und entwickelt so sprachliche Fähigkeiten. Was also für den einen Bereich hinderlich oder ungünstig sein mag, ist für einen anderen förderlich. Genau das macht es schwierig, klare Antworten zu geben.

Sticca ist dennoch überzeugt, dass die Forschung dazu beitragen kann, das noch eher verschwommene Bild zu schärfen. Und zwar dann, wenn das grosse Ganze wie ein Puzzle betrachtet wird und einzelne Studien versuchen, Teilstücke beizutragen, indem sehr spezifische Fragen untersucht werden – etwa zum Einfluss von Bildschirmmedien auf einzelne Aspekte wie Motorik, Sprache oder Sozialverhalten.

Einen Teil dazu beitragen möchte KiDiM. Neben der grossen Übersichtsstudie führt das Forschungsteam auch eigene Erhebungen durch. Ein Resultat bezüglich der motorischen Entwicklung: Wichtiger als die Frage, wie viel Zeit ein kleines Kind vor einem Bildschirm verbringt, ist die Frage, wie viel sich das Kind bewegt. Genau solche Ergebnisse helfen, einzelne Puzzleteile besser zu verstehen und Eltern differenziertere Hinweise zu geben.

Was bedeutet das für den Familienalltag?

Eltern stellen sich natürlich die Frage: Und was heisst das nun konkret? Für Sticca und sein Team ist klar, dass pauschale Empfehlungen selten für alle passen. Aber ein paar Grundgedanken können Orientierung geben:

  • Klare Routinen entwickeln: Legen Sie als Familie fest, wann und wie Medien genutzt werden – zum Beispiel nicht beim Essen oder vor dem Schlafengehen.
  • Begleiten statt parken: Schauen Sie gemeinsam und machen Sie Bildschirmzeit zu einer Gelegenheit für Beziehung und Austausch.
  • Für Ausgleich sorgen: Achten Sie darauf, dass neben Medien genügend Bewegung, Spielen, Vorlesen, soziale Interaktion und Draussensein Platz haben.
  • Flexibel bleiben: Faustregeln wie «zehn Minuten pro Lebensjahr» können eine grobe Orientierung bieten – wichtiger ist aber, dass die Mediennutzung in Ihr Familienleben passt.

*

KiDiM ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik und dem Marie Meierhofer Institut für das Kind. Insgesamt sind bis 2027 neun Teilstudien geplant. Mehr Informationen zum Projekt finden Sie > hier.

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.