Handys im Ferienlager: Zwischen Offline-Wunsch und digitaler Realität

| Bettina Bichsel

«Alle anderen Kinder hatten ihr Handy dabei – mein Sohn hat sich richtig ausgeschlossen gefühlt. Ist es normal, dass im Sportlager Smartphones erlaubt sind?» Das hat uns Lisa (Name geändert), die Mutter eines Neunjährigen, gefragt. Wir sind der Sache nachgegangen und haben Expert*innen nach ihren Erfahrungen gefragt.

Sommerferien sind nicht nur die perfekte Zeit, um mit der Familie wegzufahren. Auch Ferienlager bieten wie jedes Jahr ein buntes Spass-Programm: Tagsüber geht’s zum Klettern oder aufs selbst gebaute Floss, abends ans Lagerfeuer. All diese tollen Momente wollen fotografiert und mit denen geteilt werden, die nicht dabei sind. Vor dem Schlafengehen noch ein bisschen Musik hören oder mit der besten Freundin chatten. Und wenn vielleicht doch das Heimweh Überhand nimmt, kann man kurz nach Hause telefonieren.

Logisch also, dass das Handy Teil des Lagerlebens ist. Oder nicht?

Sollen Lager nicht vielmehr eine Pause vom Alltag sein? Und darum auch vom digitalen?

Die Präsenz von Smartphones ist eine Herausforderung.

Annina Reusser, Pfadibewegung Schweiz

Die Geister scheiden sich...

Die Frage, ob Smartphones ins Lager gehören oder nicht, beschäftigt längst nicht nur Eltern – auch unter Personen, die in unterschiedlichen Kontexten Lager mit Kindern und Jugendlichen leiten, gehen die Meinungen auseinander. Das zeigen unter anderem Diskussionen und Erfahrungsberichte im Netz:

Auf dem Jugendleiter-Blog plädiert etwa Daniel für einen ausgewogenen Umgang. Smartphones sollen nicht komplett verbannt, aber bewusst reguliert werden – durch klar definierte Handyzeiten oder eine freiwillige «Auszeit-Kiste», in die Kinder ihre Geräte legen können. Ausserdem sieht er viele Möglichkeiten, das Smartphone kreativ einzusetzen, etwa für eine digitale Schnitzeljagd oder beim gemeinsamen Drehen eines kleinen Filmes. Und nicht zuletzt gibt er zu bedenken, dass Kinder und Jugendliche in Lagern schon in den Zeiten vor Smartphones abends gern länger als eigentlich erlaubt aufgeblieben sind, heimlich Karten gespielt oder Musik gehört haben.

Ganz anders argumentiert Bent bei Krautreporter: Er ist froh, dass in den Lagern, die er seit Jahren begleitet, ein konsequentes Handyverbot gilt. Und auch er zieht den Vergleich zu früher: «Sie verboten erst den Gameboy und dann jede neue Generation von Nintendo-Spielgeräten. Handys zu verbieten war eine logische Weiterführung dieser Idee: Hier gibt es so viel zu erleben – wir brauchen keine Ablenkung.» Seiner Erfahrung nach ermöglichen erst die Freiräume, die entstehen, wenn eben mal nicht direkt ein digitales Gerät zu Hand ist, den Kindern genau die besonderen Erlebnisse und Gruppenerfahrungen, die Lager mit sich bringen.

In einem geschütztzen Rahmen sind Erfahrungen mit Selbstorganisation, sozialem Miteinander, aber auch mit der Trennung von den engsten Bezugspersonen für Kinder wichtig.

Bettina Bichsel, Jugend und Medien

Eltern zwischen Vertrauen und Fürsorge

In der Schweiz ist die Pfadi die grösste Jugendbewegung. Auch hier sind digitale Medien und der Umgang mit Smartphones & Co. in den Lagern ein wiederkehrendes Thema, wie Sprecherin Annina Reusser sagt: «Die Präsenz von Smartphones ist eine Herausforderung. Pfadi findet vorwiegend draussen und offline statt – und daran wollen wir auch nichts ändern.» Die Frage, ob die Teilnehmenden ihr Handy mitnehmen dürfen oder nicht, beschreibt auch sie als Spannungsfeld.

Nicht zuletzt, weil eben auch die Eltern mit unterschiedlichen Perspektiven und Wünschen auf ein Lager blicken. Einige begrüssen die Offline-Zeit ausdrücklich: Für sie sind Lager ein Ort der Selbstständigkeit, der persönlichen Entwicklung und der digitalen Auszeit. Andere wiederum machen sich Sorgen um Notfälle oder befürchten, dass sich ihr Kind einsam fühlt. Manchmal steht auch der Wunsch im Raum, wenigstens für den «Fall der Fälle» erreichbar zu sein.

Wo also liegt der goldene Weg?

Laut Annina Reusser gibt es keine allgemeingültigen Vorgaben: «Die einzelnen Abteilungen können sich selbst Regeln setzen, z.B. ein komplettes Handyverbot für Teilnehmende oder bestimmte erlaubte Handy-Zeiten.»

Ähnlich klingt es beim Bundesamt für Sport, verantwortlich für das Förderprogramm Jugend+Sport (J+S), in dessen Rahmen jährlich Lager in den verschiedensten Sportarten durchgeführt werden: «Es gibt eine Empfehlung an die Organisationen, entsprechende Regeln festzulegen und zu kommunizieren. Die konkrete Ausgestaltung dieser Regeln liegt jedoch in der Verantwortung der jeweiligen Lagerorganisation. Dabei stellen wir die folgenden Fragen in den Raum: Welche Geräte dürfen nicht mitgenommen werden? Welche Nutzung wird toleriert?»

Die festgelegten Regeln sollen möglichst im Vorfeld den Eltern kommuniziert werden. Und sicher ist: Leitungspersonen haben ihre Geräte dabei, um Notrufe tätigen zu können oder im Notfall für Eltern erreichbar zu sein.

Kurzer wissenschaftlicher Exkurs

Aus entwicklungspsychologischer und pädagogischer Sicht profitieren Kinder davon, wenn sie in einem geschützten Rahmen erste Erfahrungen mit Selbstorganisation und sozialem Miteinander, aber auch mit der Trennung von den engsten Bezugspersonen machen. Lager bieten genau diese Lernchancen. Auch Annina Reusser gibt zu bedenken, dass «ein Kind, das aus Heimweh selbstständig seine Eltern anruft und von ihnen abgeholt wird, ohne dass die Leitenden vorher davon wissen, vielleicht der Möglichkeit beraubt wird, mit dem Gefühl umzugehen – getröstet zu werden und es wieder abklingen zu lassen.»

Umgekehrt kommt es auch mal vor, dass die Eltern ihr Kind vermissen und per Smartphone mit ihm Kontakt aufnehmen, was wiederum die Erfahrung der Selbstständigkeit schwächen kann.

Gerade diese Beispiele zeigen, wie entscheidend es ist, Erwartungen und Regeln frühzeitig abzustimmen – im Dialog zwischen Leitenden, Eltern und Kindern.

Tipps für Eltern

  1. Vor dem Lager ins Gespräch kommen: Falls die Regeln nicht ohnehin im Vorfeld des Lagers thematisiert werden, fragen Sie einfach bei der Lagerleitung nach, wie mit digitalen Medien umgegangen wird.
  2. Ihr Kind vorbereiten: Erklären Sie, warum es vielleicht kein Handy braucht – oder warum bestimmte Regeln gelten. Und falls Ihr Kind (noch) kein Handy hat: Erklären Sie, dass andere Kinder möglicherweise mit dem Smartphone da sind. Überlegen Sie gemeinsam, was es machen kann, um sich nicht ausgeschlossen zu fühlen. Vielleicht kann es die anderen Kinder bitten, ihre Lieblingsspiele zu zeigen. Oder sie können gemeinsam eine Foto-Tour machen.
  3. Vertrauen schenken: Seien Sie erreichbar, aber vermeiden Sie ständigen Kontakt. Auch wenn es schwerfällt, Selbstständigkeit wächst mit Freiraum.
  4. Offline-Kommunikation fördern: Wie wäre es mit Postkarten verschicken? Oder einem Notizbuch, in das Ihr Kind schreiben kann, was es erlebt?
  5. Andere Eltern einbeziehen: Vielleicht gibt es eine gemeinsame Haltung in der Elternrunde – so fühlt sich kein Kind «anders».
  6. Nach dem Lager reflektieren: Sprechen Sie mit Ihrem Kind über die gemachten Erfahrungen. Was war schön? Was schwierig? Was würde es beim nächsten Mal anders machen?


Fazit

In Lagern verhält es sich wie im Familien- und Schulalltag: Digitale Medien sind kein einfaches Schwarz-Weiss-Thema. Aber ob mit oder ohne Smartphone, echte Erlebnisse in der Natur und in der Gemeinschaft sollten im Vordergrund stehen. Denn manchmal liegt die grösste Freiheit im Abschalten – und in der Erfahrung, was ganz ohne Display möglich ist.

Bettina Bichsel ist Journalistin und Texterin. Sie schreibt und bloggt unter anderem für Jugend und Medien.