Eine Jugendliche ist liegend im Dunkeln am Handy.

Onlinesucht

Games, Apps und Soziale Medien üben eine grosse Faszination auf Heranwachsende aus. Games wecken die Abenteuerlust und befriedigen das Bedürfnis nach Erfolg. In sozialen Netzwerken erfahren Jugendliche Anerkennung und soziale Zugehörigkeit. Viele Online-Anbieter entwickeln laufend raffiniertere Belohnungssysteme, um die Nutzenden am Ball zu halten, womit das Suchpotenzial steigt. Wenn sich der Lebensmittelpunkt vom realen hin zum virtuellen Leben verschiebt, kann das längerfristig dramatische Folgen haben. Erfahren Sie in dieser Rubrik, woran Sie eine problematische Internetnutzung und Onlinesucht erkennen und wie Sie als Eltern Ihr Kind darin unterstützen können, ein Gleichgewicht zwischen Freizeitaktivitäten mit und ohne digitale Medien zu finden.

23%
DER 11- BIS 16-JÄHRIGEN SIND BEIM VERSUCH GESCHEITERT, WENIGER ONLINE ZU SEIN (EU KIDS ONLINE: SCHWEIZ 2019).
7,4%
DER 15- BIS 19-JÄHRIGEN WEISEN EINE PROBLEMATISCHE INTERNETNUTZUNG AUF (SUCHTMONITORING SCHWEIZ 2015).
28%
DER 16- BIS 25-JÄHRIGEN SETZEN SICH ZEITLIMITS FÜR DIE EIGENE INTERNETNUTZUNG (ALWAYS ON 2019).
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Gut zu wissen

Von Onlinesucht sprechen wir, wenn jemand übermässig viel Zeit im Internet verbringt, sei es am Handy, Tablet oder Computer. Wissenschaftlich gibt es keine allgemein anerkannte Definition und Terminologie. Das hat zum einen damit zu tun, dass exzessive Bildschirmzeiten nicht zwingend auf ein Suchtverhalten hindeuten. Anstelle von Onlinesucht wird darum oft von einer problematischen oder pathologischen Nutzung oder von Internetabhängigkeit gesprochen. Zum andern beschäftigen wir uns im Internet mit vielen verschiedenen Dingen, die Suchtpotenzial haben. Darum unterscheiden manche Forscher lieber Verhaltenssüchte wie z.B. Kauf-, Spiel- oder Sexsucht.

Verschiedene Arten der Nutzung können zu einem krankhaften Gebrauch führen, bei dem die Kontrolle über die eigene Nutzung verloren geht:

  • Permanente Suche nach Informationen im Netz bzw. zwanghaftes Surfen im Internet, was zu einer Informationsüberlastung führt
  • Exzessive Nutzung von Online-Spielen
  • Zwanghafte Nutzung von Netzinhalten in Form von Online-Shopping, Online-Handel, Online-Glücksspielen, Pornografie usw.
  • Exzessive Nutzung von Chat-Räumen oder sozialen Netzwerken (Sucht nach Internetbeziehungen)

Bei einer Onlinesucht hat die betroffene Person Schwierigkeiten, offline zu gehen (Kontrollverlust). Die Gedanken drehen sich nur noch um die Online-Aktivität und der Lebensmittelpunkt verschiebt sich vom realen Leben hin zum Leben in der Onlinewelt. So gibt es Jugendliche, die sich in ihr Zimmer zurückziehen, um Online-Games zu spielen, während ihre Freunde draussen spielen. Es gibt Jugendliche, die gemeinsame Mahlzeiten oder Ferienaktivitäten mit der Familie verweigern, weil sie online verbunden bleiben möchten. Die übermässige Nutzungsdauer allein ist allerdings noch kein Indikator für eine Onlinesucht. Die Motivation für den Konsum bestimmter Medieninhalte spielt eine Rolle. 

Längerfristig kann sich die exzessive Mediennutzung negativ auf alle Lebensbereiche wie das private Sozialleben, Hobbys, die Ausbildung oder den Beruf auswirken:

  • Abfallende Leistungen in der Schule und/oder der Arbeit
  • Sozialer Rückzug
  • Übermüdung als Folge von Schlafmangel
  • Vernachlässigen von Kontakten zu Gleichaltrigen, Schulaufgaben und Familienleben
  • Fehlendes Interesse an anderen Freizeitaktivitäten


Nebst den sozialen Folgen kann stundenlange Bewegungslosigkeit vor dem Bildschirm aber auch körperliche Probleme wie Muskelverkrümmung und daraus entstehende Fehlhaltungen mit sich bringen. Auch Übergewicht, Kopfschmerzen, Seh- und Schlafstörungen können die Folge sein.

Offiziell von der Weltgesundheitsorganisation als Krankheiten anerkannt sind die Computerspiel- und die Sex- bzw. Pornosucht. Seit Anfang 2022 werden sie im international gültigen Katalog ICD-11 aufgeführt. Dabei wird kein Unterschied zwischen Offline- oder Online-Verhalten gemacht.

Demnach liegt eine sogenannte Computerspielstörung (Gaming-Disorder) vor, wenn über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten folgende Aspekte beobachtet werden:

  • Die Kontrolle über das Spielverhalten (Häufigkeit, Dauer, Intensität, Beginn/Ende) geht verloren.
  • Das Spielen wird so wichtig, dass für andere Aktivitäten kaum mehr Zeit bleibt bzw. wenig Interesse für andere Lebensbereiche besteht.
  • Trotz der negativen Konsequenzen (z. B. soziale Isolation) kann mit dem Spielen nicht aufgehört werden.


Bei einem zwanghaften Sexualverhalten, zu der auch die Pornosucht zählt, sieht es ähnlich aus:

  • Über einen längeren Zeitraum (mind. 6 Monate)  gelingt es nicht, sexuelle Impulse zu kontrollieren.
  • Sexuelle Aktivitäten werden zu einem oder dem zentralen Lebensmittelpunkt, während andere Bereiche vernachlässigt werden.
  • Versuche, das Sexualverhalten zu mindern, sind bisher gescheitert.
  • Selbst wenn beispielsweise beim Schauen von Pornos keine Befriedigung mehr empfunden wird, kann damit nicht aufgehört werden.
  • Persönliche, familiäre, soziale und/oder berufliche Beziehungen werden von dem exzessiven Verhalten beeinträchtigt.


Durch diese Änderung können einerseits Menschen besser diagnostiziert und behandelt werden. Anderseits helfen die einheitliche Definition und die Festlegung der Kriterien bei der Erforschung der Krankheiten und der Entwicklung geeigneter Therapien.

Menschen im Jugendalter gehören zur grössten Risikogruppe für Onlinesucht. Zudem sind sozial ängstliche, depressive Jugendliche oder solche mit einem geringen Selbstwertgefühl stärker gefährdet, eine Internetsucht zu entwickeln. Emotionale Probleme scheinen mit dem Spielen und im Internet leichter überwunden werden zu können. Auch geringe sozioemotionale Kompetenzen, ein geringer sozioökonomischer Status, negative Bindungserfahrungen in der frühen Kindheit, psychische Belastungen der Mutter und Migrationshintergrund sind gemäss einer Längsschnittstudie (Grund/Schultz 2017) Risikofaktoren für Onlinesucht.

Eine geringe Medienkompetenz bringt ebenfalls ein erhöhtes Risiko mit sich, den Umgang mit den digitalen Medien nicht kontrollieren zu können (Blikk-Studie 2017). Deshalb ist es so wichtig, dass Kinder frühzeitig eine verantwortungsvolle Nutzung und eine kritische Auseinandersetzung mit digitalen Medien lernen.

Die meisten Heranwachsenden in der Schweiz nutzen das Internet intensiv. So sind Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren im Durchschnitt jeden Tag rund 2,5 bis 4 Stunden online (JAMES-Studie 2018). Dennoch hat die grosse Mehrheit von ihnen ein gesundes Verhältnis zu digitalen Medien (JAMESfocus 2017).

Eine problematische digitale Mediennutzung weisen rund 7,4 Prozent der 15- bis 19-Jährigen auf (Suchtmonitoring Schweiz 2015). Diese Gruppe hat ein erhöhtes Risiko, seelische und körperliche Probleme zu entwickeln. Aber: Selbst wenn Jugendliche bei ihrer Mediennutzung Zeichen eines Abhängigkeitsverhaltens zeigen, muss dies noch keine Onlinesucht sein. Gerade in diesem Alter können Phasen von exzessivem Verhalten auch Ausdruck der normalen Entwicklung sein.

Befragt – im Rahmen der Studie EU Kids online: Schweiz (2019) – zu Auswirkungen ihres Onlineverhaltens bestätigten 14% der 11/12-Jährigen, 38% der 13/14-Jährigen und 49% der 15/16-Jährigen mindestens eine negative Konsequenz: In erster Linie kommen Familie, Freunde und Hausaufgaben zu kurz; darüber hinaus entsteht Langeweile während Offline-Zeiten oder es gibt Streit wegen zu häufigem Surfen. Fast ein Viertel der Befragten hat schon mal versucht, weniger ins Internet zu gehen – aber ohne Erfolg.

Junge Frauen empfinden das konstante Online-Sein eher als belastend als junge Männer, wie die bei 16- bis 25-Jährigen durchgeführte Studie «Always on» (2019) zeigt. Sie fühlen sich schlecht, weil sie sich mit anderen vergleichen, oder durch Apps und z. B. Social-Media-Dienste unter Druck gesetzt. In der gleichen Befragung nannten auch praktisch alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen Selbstregulierungsstrategien. Dazu gehört vor allem, das Handy nicht zu benutzen, wenn man sich auf eine Aufgabe konzentrieren muss, Benachrichtigungen auszuschalten oder zeitintensive Apps zu löschen. Online-Zeitlimits setzen sich 28 Prozent der 16- bis 25-Jährigen. 

Ja. Es gibt verschiedene Angebote in den Kantonen und Gemeinden. Die Suchtberatungsstellen beraten auch zu Fragen der problematischen Internetnutzung.

Je nach Schweregrad der problematischen Mediennutzung sind unterschiedliche Angebote sinnvoll: internetbasierte Hilfe, Beratung, Kurzintervention, ambulante oder stationäre Therapie. Letztere sind insbesondere bei schwerer Abhängigkeit angezeigt. Wichtig ist, dass früh Hilfe gesucht wird. → Weitere nützliche Infos

Die Zielsetzungen reichen von Reduzierung von Online-Zeiten auf ein verträgliches Mass bis hin zur deutlichen Reduktion oder Abstinenz von der suchterzeugenden Anwendung (z. B. ein bestimmtes Game). Weiter geht es darum, alternative Verhaltensweisen (wieder) zu entdecken, die Persönlichkeit und den Selbstwert zu stärken, gegebenenfalls auch soziale Ängstlichkeit abzubauen.

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Was sollte mein Kind beachten?

Wie kann sich mein Kind schützen?

  • Kritische Selbstbeobachtung (Medientagebuch führen)
  • Balance zwischen online und offline halten
  • Armbanduhr tragen und analogen Wecker aufstellen, um den ständigen Blick auf die Handyuhr vermeiden
  • Sich von digitalen Ablenkungen abschirmen, indem man z. B. unnötige Meldungen/Mitteilungen deaktiviert.
  • Frühzeitig Hilfe suchen, wenn die Nutzung ausser Kontrolle gerät, soziale Beziehungen verarmen, Schule oder Beruf vernachlässigt werden oder Entzugssymptome wie Nervosität, Ängste oder Depressionen auftauchen

Achtung

Hinter übermässiger Computernutzung steht oft der Wunsch nach Zuwendung und Anerkennung.

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Was können Eltern tun?

Durch die Förderung der Medienkompetenz kann den Risiken vorgebeugt werden. Kinder müssen lernen, bewusst und vor allem verantwortungsbewusst mit digitalen Medien umzugehen und die eigene Mediennutzung auch kritisch zu hinterfragen. Es geht nicht darum, auf den Konsum zu verzichten, sondern schädliche Folgen zu verhindern oder vermindern. Unterstützen Sie Ihr Kind dabei:

  • Lassen Sie sich die Spiele und Apps von Ihrem Kind zeigen und sprechen Sie mit ihm über seine Online-Aktivitäten und seine bevorzugten Webseiten. Fragen Sie nach seiner Motivation, diese zu nutzen.
  • Interessieren Sie sich für sein Leben allgemein, seine Probleme und Erfahrungen und stärken sie seine Persönlichkeit.
  • Unterhalten Sie sich darüber, wie das Kind seine Bedürfnisse nach Informationen und Unterhaltung erfüllen kann.
  • Überlegen Sie, wie sich Abenteuerlust und das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Anerkennung und Erfolg auch offline befriedigen lassen.
  • Überprüfen Sie Ihre eigenen Mediengewohnheiten, denn Kinder brauchen medienkompetente Vorbilder.
  • Beachten Sie die Altersfreigaben der Videospiele. Die PEGI-Normen informieren mit Hilfe von Piktogrammen über den Inhalt (Gewalt, Sexualität u. a.).
  • Bestimmen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind, wie viel Zeit es pro Tag oder pro Woche vor Bildschirmen verbringen darf und achten Sie darauf, dass die Abmachungen eingehalten werden.
  • Führen Sie ein → Medientagebuch
  • TV, PC und Spielkonsole gehören nicht ins Kinderzimmer. Platzieren Sie die Geräte in einem Gemeinschaftsraum. Behalten Sie Smartphones, Tablets und Laptops im Auge
  • Brauchen Sie die Medien nicht zur Belohnung oder Bestrafung. Dies steigert unnötig die Bedeutung für das Kind.
  • Sorgen Sie für attraktive Freizeitaktivitäten auch ohne digitale Medien. Zeigen Sie dem Kind andere Möglichkeiten auf, wie es sich alleine oder in der Familie beschäftigen kann, beispielsweise mit Lesen, Gesellschaftsspielen oder Aktivitäten im Freien. Denn Bewegung ist wichtig. Kinder sind in der Regel gerne mit der Familie zusammen und schätzen die gemeinsame Zeit.
  • Zeigen Sie dem Kind, wie es Medien kreativ nutzen kann und fördern Sie so einen sinnvollen Gebrauch. → Recherchieren & Lernen
  • Seien Sie auch für die Gestaltung der medienfreien Zeit eine Inspiration und Vorbild für das Kind.
  • Sucht Ihr Kind Zuflucht im Netz, um vor negativen Emotionen und persönlichen Problemen wie z. B. Einsamkeit, soziale Ausgrenzung, Selbstwertprobleme zu fliehen? Thematisieren Sie dies mit Ihrem Kind.
  • Wenn Sie negative Auswirkungen der Mediennutzung feststellen: Sprechen Sie darüber, äussern Sie Ihre Sorgen und Ängste. Besprechen Sie mit Ihrem Kind, welche Unterstützung es braucht und bieten Sie Ihre Hilfe an.
  • Beschränken Sie die Zeit am Computer pro Tag bzw. Woche und entwickeln Sie gemeinsam mit dem Kind alternative Ideen zur Freizeitbeschäftigung.
  • Holen Sie Hilfe (→ Weitere nützliche Infos)
  • Üben Sie keinen Druck aus.
  • Vermeiden Sie es, das Kind zu stigmatisieren und sprechen Sie nicht vorschnell von einer Sucht.
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Weitere nützliche Infos